Dienstag, 22. November 2011

Der Machtwechsel (3/4)

Hier geht es zu Teil 1/4, 2/4 und 4/4.


Gerade hatte er mir noch geschrieben, dass es noch etwa zehn Minuten dauern würde, da kam Big plötzlich aus einer Tür, machte einen kleinen, freudigen Hüpfer als er mich sah und sprach dann leise zu mir: "Kannst Du vielleicht schon unauffällig vorgehen? Die anderen wollen noch mit mir gemeinsam nach Hause gehen und das würde dann irgendwie komisch werden..." Also bekam ich ihn doch, den Schlüssel, und machte mich durch die dunklen nebeligen Straßen meiner alten Heimat auf den Weg zu der Wohnung, in der ich vor über fünf Jahren so viele tolle und schreckliche Dinge erlebt hatte.

Begrüßt wurde ich dort von der Katze, die erst seit ein paar Monaten da lebt, sehr süß ist und mir Gesellschaft leistete, bis Big etwa 20 Minuten nach mir eintrudelte. Ich wollte kurzen Smalltalk über die Katze halten, aber er warf nur schnell seine Tasche ab und umarmte mich sofort und hielt mich erst einmal - gefühlt - ein paar Minuten ganz fest an sich gedrückt und streichelte mir über den Rücken.

Als wir uns voneinander lösten, zeigte er mir dann doch noch kurz, was sich alles in der Wohnung verändert hatte, seit ich das letzte Mal da war (eine Menge, es war komplett renoviert, die Zwischenwände waren versetzt und aus einer leicht versifften Studentenbude mit Kohleofen und Außenklo war eine normale fast schon spießige, sanierte Wohnung geworden.

Dann legten wir uns ins Bett, in dem ich ja eigentlich nur ein wenig „löffeln“ und schlafen wollte. Doch sobald er sich an mich herangekuschelt hatte, ging das Gezerre schon los. Ich war schläfrig, er wieder voll wach. Er entschuldigte sich zwar ständig, dass er sich nicht zurückhalten könne, aber... tat es dann eben auch nicht. Ein paar Minuten lang habe ich noch abgeblockt und versucht zu schlafen und ganz kurz war er sogar selbst weggedöst, doch dann musste ich meinen Widerstand aufgeben.
Big hat so eine Art, einen komplett zu umfangen, einzulullen und - ja - zu begehren, die es unmöglich macht, nicht mitzuspielen. Dazu sein Geruch - auch er roch wie früher ;) - und ein paar erste, zaghafte Küsse und schon war es um mich geschehen. Immerhin ließ ich ihn hauptsächlich machen, genoss einfach seine Liebkosungen und stoppte ihn zumindest noch, bevor er zum Gummi greifen konnte (dafür wollte ich dann doch zumindest bei vollem Bewusstsein sein). Natürlich wollte er dann zumindest auch noch etwas von der Situation haben und ich war inzwischen so wach, dass ich ihm den Gefallen gern tat. Nebenbei bewies ich mir so, dass ich durchaus dazu in der Lage bin, einen Mann zu befriedigen – die letzten Jahre hatten mich stark daran zweifeln lassen.

Wir kuschelten uns aneinander und schliefen dann doch ein. Beziehungsweise er schlief ein und ich lag wach und wunderte mich, wie wahnsinnig vertraut alles war, wie zuhause seine Haut auf meiner war, wie geborgen ich mich bei ihm fühlte, wie wundervoll, perfekt, hollywoodreif diese Küsse waren. Und ich war sehr zufrieden mit meiner Entscheidung. Irgendwann nickte ich dann doch ein.

Am Morgen lagen wir da und hatten die Katze zwischen uns, die herumtollte, schnurrte wie zehn Baumaschinen und eine tolle Show ablieferte. Wir redeten über dies und das und schliefen immer mal wieder kurz ein. Irgendwann war es Mittag und ich fragte, ob ich jetzt mal losgehen solle (Bloß keine Schwäche zeigen, souverän und selbstbewusst bleiben, und agieren, statt zu reagieren!). Aber er sagte: „Nein! Wir können ja noch ein bisschen kuscheln...“

Tja und dann kam es doch noch zu meinem ersten Mal seit viel zu langer Zeit und was soll ich sagen: Anders als in allen meinen langen Beziehungen klappte es - einfach so. Keinerlei Komplikationen beim Zusammenbringen der Dinge, die zusammengehören, keine Schwierigkeiten, dabei zu bleiben und selbst ein Krampf im Bein konnte mich nicht rausbringen. Es mag merkwürdig klingen, aber es flutschte einfach - und das ist schon sehr viel, für meine Verhältnisse. Es war toll. Und es fühlte sich absolut OK an und hinterher lagen wir da und lachten darüber, dass ich jetzt wieder "zurück im Leben sei", dass er mich "entjungfert" hätte und dass ich mit der Gesamtsituation sehr zufrieden sei und mir die ja „als Gesamtbild übers Bett hängen“ könne. Mit einem Wort: Es war schön, es war unkompliziert und ich fühlte mich sehr wohl mit ihm.

Und ab da wurde alles anders.

Little Sister

Manchmal hat man nachts die klarsten Gedanken und da ich gerade auf eine Goldader gestoßen bin, muss das jetzt einfach schnell noch raus, bevor ich schlafen gehe. Morgen finde ich es vielleicht schon wieder zu weit hergeholt. - Vorsicht, das wird länger...

Meine ursprüngliche Überlegung war, dass meine Exfreunde genau eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind die kleinen Brüder von irgendwem und bis auf einen Nachzügler-Halbbruder sind sie die Nesthäkchen in ihrer Familie. Sogar Big ist kleiner Bruder. Merkwürdig, dachte ich und ging die Reihe an Männern durch, für die ich im Laufe meines Lebens mal intensivere Gefühle hatte und Bingo! Jeder einzelne von Ihnen war der kleine Bruder (und zwar meistens der einer großen Schwester). Bis auf einen, der einen Zwillingsbruder hat, aber Ausnahmen bestätigen nunmal die Regel. Und einige hatten sowohl kleine, als auch große Geschwister, gehörten aber in der Familiendynamik zu den "Kleinen".

Eine weitere Gemeinsamkeit: So gut wie jeder von ihnen ist entweder wahnsinnig intelligent und/oder gebildet und/oder ehrenamtlich engagiert und/oder auf einem künstlerischen Gebiet talentiert. Alle zeichnet irgendetwas aus. Viele von ihnen sind zudem so etwas wie das "schwarze Schaf" ihrer Familie (oder trifft das allgemein eher auf die kleinen Geschwister zu?).

Ähnlich sieht es in meinem engeren Freundeskreis aus: Bis auf eine große Schwester und ein Einzelkind (die liebe Phae) sind alle meine nahen Freunde die kleinen Geschwister - so wie auch ich.

Meine Kindheit war eigentlich sehr schön, idyllisch, mit heiler Familie in halbwegs unberührter Natur. Ich war das verhätscheltelte Nesthäkchen und musste nie soviel mithelfen wie mein Bruder. Ich war kränklich und blieb dadurch oft von Gartenarbeit verschont (was ich lernte, auszunutzen). Ich wurde mit dem Auto zur Schule gefahren, mein Bruder fuhr mit dem Rad.

Vielleicht spielte es eine Rolle, dass meine Mutter vor mir eine Fehlgeburt hatte (relativ spät in der Schwangerschaft) und meine Eltern sehr lange auf mich gewartet hatten. Mein Bruder spielte jedenfalls sehr früh den Erwachsenen ("Wenn die dich schon nicht erziehen, dann muss ich es eben tun.") und ich blieb immer die Kleine.

Es war immer schwierig zwischen meinem Bruder und mir, solange er noch zuhause wohnte (also bis ich 14 war). Ich wollte dabei sein, wenn er etwas mit seinen Freunden machte und er wollte mich abschütteln. Ich saß vor derm Fernseher und sah meine Lieblingsserien und er kam rein, schaltete um und durchforstete den Videotext nach Sportergebnissen. Fast täglich haben wir uns gestritten, ab und zu wurde es handgreiflich. Ich war eine ziemliche Nervensäge und wir beide fahren ziemlich schnell aus der Haut.

Mein Bruder war immer gut in der Schule, sogar in Sport. Eigentlich hat er alles immer gut und richtig gemacht. Ich war auch gut in der Schule, außer in Sport und allem, was mit motorischen Fähigkeiten zu tun hatte. Und ich war weniger fleißig und ehrgeizig als er. Vielleicht war mir klar, dass ich nie so gut sein würde und ich hab es deswegen gar nicht erst versucht.

Als er aber in der 9. Klasse mit Klassenkameraden eine Schülerzeitug aus der Taufe hob und abends beim Essen davon berichtete, sagte ich: "Ja, das machen wir auch." Am nächsten Tag organisierte ich es in meiner Schule (3. Klasse!) und ein paar Wochen später gab es die erste Ausgabe. Als ich auf sein Gymnasium wechselte, wurde ich Teil der Redaktion seiner Zeitung und blieb es bis zum Abitur.

Zwischendurch habe ich mich in einigen Sachen ausprobiert - Klavier spielen, Theatergruppe... Dabei geblieben bin ich bei der Schülerzeitung und beim Computer (ab 14 Jahren dem Internet) - zwei Dingen, die mein Bruder auch machte.

Ich bin jetzt 28 und ich merke immernoch, wie ich in meiner Familie als die Kleine behandelt werde. Weniger von meinem Bruder, der mich inzwischen als gleichwertig und gleichberechtigt behandelt, als von meinen Eltern. Ich habe nie richtig rebelliert, mich nie richtig abgenabelt (es gab keinen wirklichen Grund, keine harten Konflikte, keine strikten Verbote). Und so mache ich heute noch oft, was meine Eltern mir sagen oder fahre sofort meine Stacheln aus, wenn sie mir Predigten halten oder meinen, etwas besser zu wissen. Ich stecke immernoch in der Pubertät.

Dieses Sich-beweisen-müssen, das steckt in mir drin. Das mache ich in allen sozialen Kontexten und auch auf der Arbeit. Immer muss ich zeigen, was ich kann und dass ich etwas besser kann als die anderen (Zum Glück habe ich ein paar Talente mitbekommen - eine rasche Auffassungsgabe, ein Gefühl für Sprache und die Fähigkeit, Prozesse effizient zu gestalten und zwischen verschiedenen Seiten zu vermitteln - Was wäre ich wohl für ein Wrack sonst?)

Und ich möchte immernoch bei den großen Kindern mitspielen, suche den Kontakt zu den Organisatoren, möchte die Hintergründe kennen und dabei sein, wenn Entscheidungen getroffen werden. Aus demselben Grund fasziniert es mich, "Berühmtheiten" zu treffen und privat kennenzulernen. Seien es nun lokale Berühmtheiten, Bloggergrößen oder Musiker. Ich finde es toll, "backstage" zu sein und muss im gleichen Atemzug der Welt berichten, dass ich es bin, dass ich zum inneren Kreis dazugehöre.

Und scheinbar wirkt sich das Kleine-Schwester-Syndrom auch auf mein Liebesleben aus: Ich will mich nicht unterbuttern lassen, mag nicht "die Kleine" sein. Meine Männer sind allesamt kleine Brüder, denn bei einem großen Bruder hätte ich Angst, wieder in die alte Rolle zu verfallen. Ich bin ein Settler, möchte aber ein Reacher sein und wähle daher von den kleinen Brüdern die, die ich bewundern kann. Ich fördere sie und hänge mich an sie ran und sonne mich in ihrem Licht, ohne gleichzeitig Gefahr zu laufen, neben ihnen zu verblassen.

Was dann passiert ist, dass sie mich für stark und unabhängig halten, für eine große Schwester, die auf sie aufpasst. Und dann werden sie schwach und klein und wir leben uns auseinander. (Die Ausnahme: Big. Der wird nie klein sein neben mir, aber wir waren auch nicht lange genug zusammen, um diesen Zustand zu erreichen.)

Jedes Mal das gleiche Lied. Ich frage mich, ob ich vielleicht mein Leben soweit auf die Reihe kriegen muss und gefestigt genug sein muss, um mich mal an einen großen Bruder zu wagen, damit es mit der Liebe klappt. Oder gar ein Einzelkind? (Auch davor schrecke ich zurück). Oder ist das alles Schwachsinn und Zufall?

Bin für Meinungen dankbar und verbleibe bis dahin - die kleine Schwester.

Phae und Huckleberry

...erzählen alles, was man nur anonym ins Netz bloggen kann - Weil es um Menschen geht, die uns wichtig sind; weil es Dinge sind, die niemand, den wir kennen, wissen soll. Und weil manches einfach raus muss aus uns und hinein in die Welt.

Phae

muss erst mal gucken, was hier hingehört. Mittelkleingroße Großstadt, Fahrradfahren, Internet. Gesang und Hochschulpolitik, Ohrringebasteln, Ponyschneiden, Wimperntuschen, Geschlechtsstereotype dekonstruieren. Kiezkult und Spazierengehen, WGKüchentischgespräche, Popkultur. Und alles ändert sich mal wieder, wie immer.

Huckleberry

28, Großstadt, Vollzeitjob, eigene Wohnung. Web2.0-Enthusiastin, Bücherwurm, Musikfanatikerin, Filmliebhaberin. Gerade eine dreijährige Beziehung beendet und dabei, die ersten Schritte ins Singleleben zu gehen.

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